Mit dem Baby, das richtig schlimmen Husten und Atemnot hat, fahren wir lieber mal ins Krankenhaus, morgens um vier.
Relativ schnell kommen wir auch bis zur ersten Kontrolle durch.
Die Schwester, anscheinend auch eine Mutter, versucht, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie die nervliche Lage des Vaters, der immer wieder wiederholt, wie und wann der (erste, einzige) Sohn nun gehustet hat, und was das alles sein könne, für etwas überspannt hält. Immerhin testet sie schon einmal alles Mögliche an dem eigentlich quietschfidelen Patienten, und zeigt eine nicht zu unterschätzende Begabung, ein acht Monate altes Kind mitten in der Nacht mit medizinischem Gerät entertainen zu können. Dann druckt sie die Erstanamnese aus und schickt uns in die Kinderabteilung. Wir ziehen los durch den menschenleeren Krankenhausflur, schon einmal in die richtige Richtung. Denken wir. Da die Pediatria aber just gerade umgezogen ist, trudeln wir ein bisschen hilflos herum bis uns ein Nachtwächter den Weg weist. Die Kinderkrankenschwester vom Dienst erwartet uns schon, lässt sich nochnmal erklären, was mit unserem Sohn so los ist und macht die gleichen Tests nocheinmal, die schon unten gemacht wurden. Inzwischen schlurft auch die Kinderärztin herbei, schaut in den Mund, aha, setzt sich an den PC, und tippt. Dann die Diagnose: Krupphusten. Eine Brausetablette mit Cortison und einmal inhalieren. So. Das wär es dann eigentlich gewesen. Nur ein Problem: Um uns nach Hause schicken zu können, müssen wir ordnungsgemäss entlassen werden, der Computer ist aber gerade kaputt und druckt nicht.
Macht aber nichts, der Kleine sollte ja doch auch besser noch bis acht Uhr beobachtet werden, also müssen wir dableiben. Die Ärztin schlurft dann mal wieder weg und überlässt uns der Kinderkrankenschwester. Diese macht sich an einem Kopfkissen zu schaffen. Während sie es mit einem krankenhaus-grünen Bezug versieht, erklärt sie uns, dass es natürlich schön ist, solch kleinen Kindern ein Bettchen zur Verfügung zu stellen, aber leider seien alle schon belegt. Wir müssen also notgedrungen mit dem Kleinen (und dem Kissen) im Wartezimmer Platz nehmen, bis zur Visite in drei Stunden. Ok, wir sind ja erleichtert, dass es nichts ernstes ist und höchst flexibel.
Im Wartezimmer sind wir aber nicht die einzigen: Eine ganz junge Frau ist da mit ihrem sechs Monate alten Säugling und der Schwiegermutter. Die sind eigentlich schon entlassen worden, aber immer noch da. Und das kommt so:
Die Familie wohnt in Meda, einem Städtchen, etwa 45 Autominuten entfernt. Als das Kind über 40 Grad Fieber hat, ruft die Mutter den Rettungswagen um ins nächste Krankenhaus gebracht zu werden, da der Mann auf Montage in Venedig ist, vier Autostunden weit weg.
Der Rettungswagen kommt schnell, und bringt Mutter, Schwiegermutter und Baby ins Krankenhaus nach Meda. Da können sie aber nicht aufgenommen werden, denn es gibt keine Kinderabteilung. Der Rettungswagen bringt sie also ins nächste zuständige Krankenhaus nach Vigevano. Das Kind wird untersucht, man findet nichts, senkt das Fieber und gibt Antibiotika. Dann können die drei wieder gehen. Aber wohin, morgens um drei? Öffentliche Verkehrsmittel kann man schon tagsüber vergessen, und die Nummer von einem Taxiunternehmen haben sie nicht (und auch nicht das Geld dafür). Also muss der Ehemann sich nun in Venedig ins Auto schwingen und seine Familie wartet auf ihn direkt im Krankenhaus. Ohne Bettchen und ohne Kissen, versteht sich, denn man ist ja schon entlassen.
So ähnlich ging es dem Mädchen übrigens auch bei der Geburt: Das Kind wollte ein paar Tage früher auf die Welt kommen. Sie lässt sich in Geburtswehen vom Ehemann ins nächste Krankenhaus nach Meda fahren. Diese weisen sie darauf hin, dass es keine Gynäkologie gibt, und schicken sie nach Vigevano. Ohne Tatütata sondern gemächlich die 45 Minuten mit dem eigenen Auto.
Die junge Frau selber ist übrigens keine Italienerin, sondern stammt aus Albanien und ist erst seit kurzem hier. Ich habe auf ihre Geschichte zum Teil geschock und zum Teil mit Kopfschütteln reagiert. Die Gynäkologen und Krankenhäuser, die ich und Freundinnen in Italien kennen, überschütten einen fast mit Untersuchungen hier und da. Ausserdem bieten sie natürlich Geurtsvorbereitungskurse an und das Staff ist absolut professionell. Aber es ist auch wahr, dass die andauernden Kürzungen im Gesundheitswesen dramatische Folgen für Italiens Patienten haben: Nicht nur die Wartezeiten für Untersuchungen sind ewig lang und die finanzielle Eigenbeteiligung vergleichsweise hoch. Auch fehlt es in Krankenhäusern an allen Ecken und Enden. Nicht nur wird man beispielsweise im Krankenhaus hier vor Ort gebeten, sein eigenes Besteck mitzubringen. Auch die Wasserration pro Patient ist streng auf 0,5l am Tag begrenzt, wenn es sich nicht um Notfälle handelt. Gleichzeitig schieben die Angestellten Extraschichten ohne Ende.
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