Die italienische Verfassung sieht keine allgemeine Schulpflicht vor, so dass Kinder zuhause unterrichtet werden können. Offizielle Zahlen gibt es wohl noch nicht, aber über 1.000 Familien sollen Ihre Kinder inzwischen von der Schule genommen oder nie dort angemeldet haben.
Um Kinder zu Hause unterrichten zu können, muss das örtliche Schulamt jedes Jahr für das folgende Schuljahr aufs Neue über dieses Vorhaben informiert werden. Die Erklärung sollte möglichst zeitgleich mit den allgemeinen Einschreibe-Terminen erfolgen, also Ende Februar. Es empfiehlt sich, sie entweder persönlich abzugeben (und die Abgabe des Briefes protokollieren zu lassen) oder ein Einschreiben mit Rückschein zu schicken.
Dazu sollte beim ersten Brief eine sogenannte „Autocertificazione“, eine persönliche Erklärung, beigelegt werden in der versichert wird, dass die Eltern über die entsprechenden „technischen und ökonomischen Möglichkeiten“ verfügen, die Kinder selber zu unterrichten.
Im Normalfall heißt das: Wenn die Eltern Abitur haben, können sie „technische Möglichkeiten“ zur Ausbildung der einzelnen Kinder bis zum Abschluss der Mittelschule nachweisen. Um auch die Oberschule zu Hause ersetzen zu können, sollte eine „Laurea“, ein Hochschulabschluss, vorliegen. Oder es muss nachgewiesen werden, dass ein Privatlehrer eingestellt ist.
Die Schulämter können bei auftauchenden Zweifeln, dass die Eltern ihren Pflichten, die Kinder angemessen auszubilden, nachkommen, Kontrollen durchführen. Deshalb wird gemeinhin geraten, in „gutem Kontakt“ zum örtlichen Schulamt zu stehen und sich nicht komplett von der Kommunikation mit den dortigen Verantwortlichen abzukapseln.
Praktisch in Italien ist, dass die Kinder in der Schule registriert sein können, und so als externe Prüflinge an den jährlichen Abschlussexamina teilnehmen. Wessen Homeschooling-Konzept Bewertungen und die Durchführung des Curriculums der Regelschule vorsieht, hat hier natürlich große Vorteile. Nicht nur um den eigenen Erfolg messen zu können, sondern letztlich auch einen regulären Schulabschluss für die Kinder recht unkompliziert zu erreichen.
Trotzdem wird auch die „andere“ Form des Homeschooling praktiziert: das „Unschooling“,in Deutschland mit dem Waldorf-Ansatz zu vergleichen, wo darauf verzichtet wird, das Kind einem öffentlichen Lehrplan zu unterwerfen. Wer hier Anregungen sucht, wird im Internet auf verschiedenen Blogs fündig (eine Auswahl siehe unten) und einer entsprechenden Facebook-Gruppe.
Quellen und nützliche Links:
>> istruzionefamiliare.wordpress.com/ mit nötigen Dokumenten und Fristen, umfangreichste Info-Sammlung
>> controscuola.it (mit einer Einleitung auch auf Englisch)
>> educazioneparentale.org (kostenpflichtig, über 1.640 Mitglieder)
>> pianetamamma
Facebook: >> Imparare in libertà – istruzione alternativa a misura di bambino, 1.240 Mitglieder
Mamma-Blogger, die auch über Homeschooling berichten:
>> bimbifeliciacasa
>> buntglas (auch auf Deutsch)
Update: in Mailand hat eine Institution aufgemacht, die sich als „Non-Scuola“ bezeichnet und Jugendliche ab 13 Jahren aufnimmt. Mehr Informationen dazu gibt es auf der Webseite www.artademia.it.
Update:
Für alle Kinder und Jugendlichen, die unter den mehreren tausend sind, die in Italien ganz legal auf den Besuch einer Schule verzichten, um sich zu bilden, gilt, dass sie sich einer jährlichen Prüfung unterziehen müssen.
“In caso di istruzione parentale, i genitori dell’alunna o dell’alunno, della studentessa o dello studente, ovvero coloro che esercitano la responsabilità genitoriale, sono tenuti a presentare annualmente la comunicazione preventiva al dirigente scolastico del territorio di residenza. Tali alunni o studenti sostengono annualmente l’esame di idoneità per il passaggio alla classe successiva in qualità di candidati esterni presso una scuola statale o paritaria, fino all’assolvimento dell’obbligo di istruzione.” (DECRETO LEGISLATIVO 13 aprile 2017, n. 62, das Gesetz trat im Mai 2017 in Kraft.)
Hier ein paar Hinweise zum Thema.
Durchfallen möglich?
Vor einiger Zeit gab es eine interessante Neu-Interpretation des Begriffes “Bocciatura”, der auf Deutsch eigentlich immer mit “Durchfallen” übersetzt wird. Er wird nun als Förderunfähigkeit verstanden.
Der Mangel an Förderfähigkeit ist aber nur in Ausnahmefällen gegeben, und deshalb kann man in Italien im ersten Bildungszyklus (Grund- und Mittelschulen) gar nicht mehr durchfallen.
Anmerkung: Durch eine “schlechte Leistung” des (externen) Prüflings kann nicht sein Recht auf Bildung zu Hause in Frage gestellt werden. Gemäß der Stellungnahme vom MIUR n. 253/2013, unterliegt die elterliche Entscheidung zum Homeschooling nämlich keinerlei Genehmigungspflicht seitens der Behörden.
Lehrpläne
Hier ist im Vorfeld zu unterscheiden zwischen der Prüfungsvorbereitung mit dem Ziel, einen Eignungstest für das nächste Schuljahr an einer Regelschule machen zu wollen, und dem Ziel, nach dem obligatorischen Test wieder ganz normal mit dem Unterricht zu Hause weiter zu machen.
Im ersten Fall spricht man mit der Schulleitung, und hält sich an deren Vorgaben.
Im zweiten Fall kommt es einfach darauf an, welchem Homeschooling-Konzept man folgt. Die Interpretation des Gesetzes lässt zum Glück (v.a. für “Unschooler”) einiges an Spielraum. Denn eigentlich ist die für die Prüfung zuständige Schule nicht berechtigt, den abzufragenden Stoff vorzugeben. Vielmehr ist es der Prüfling, der seine Themen präsentiert. Diese müssen den ministerialen Vorgaben entsprechen, aber eben nicht dem Lehrplan einer bestimmten Schule. Viele Eltern haben sich vernetzt, um diese recht vage gehaltenen Programme vernünftig interpretieren zu können und die eigenen Vorstellungen weitestgehend mit ihnen in Einklang zu bringen (einige der Netzwerke sind am Ende dieses Artikels aufgeführt).
Der Lehrplan, den der Schüler für seine Prüfung erstellt hat, wird der Schule, die die externe Prüfung vornehmen wird, bis einschließlich 30. April vorgelegt. Die Prüfungskommission kann dann Vorschläge und Ergänzungen machen. Solange der Entwurf des Prüflings den ministerialen Richtlinien entspricht, kann sich die Schule aber nicht weigern, die Prüfung auf dessen Basis abzunehmen.
Die externe Prüfung
Der jährliche Test für Grundschüler sieht zwei schriftliche Prüfungen vor (eine in Italienisch, eine in Mathe) und eine Fächerübergreifende mündliche Prüfung, die mitunter sehr informell gehalten ist.
In der weiterführenden Schule kommt dann eine Fremdsprache hinzu, je nach Institut, das die Prüfung abnimmt, meist Englisch.
In jedem Fall muss die Kommission den Prüfling im Voraus darüber informieren, welche Art von Prüfung sie durchführen möchte also Diktat, oder Aufsatz im Italienischen, etc.
Die mündliche Prüfung ist oft auch der Ort, an dem der Schüler die Arbeiten, die er im vergangenen Jahr gemacht hat, präsentieren kann. Also seine Arbeitshefte, Lapbooks, Handarbeiten, selbst gedrehte Videos, ein Referat zu einem bestimmten Thema, etc.
Wo und Wann
Die Prüfung findet immer im Rahmen einer einzigen Sitzung im Juni statt. Sie kann sowohl an einer staatlichen, als auch an einer staatlich anerkannten Schule abgelegt werden. (Achtung: Nicht alle Privatschulen erfüllen diese Voraussetzung.)
Das Gesetz sieht nicht ausdrücklich vor, dass das Examen an der Schule des Wohnortes abgelegt werden muss (wo im Normalfall die Erklärung zum Hausunterricht hingeschickt wurde). Man kann die Schule also frei wählen. Allerdings akzeptieren nicht alle Schulen automatisch jede Anmeldung von Homeschoolern oder Freilernern zum Jahresabschlußexamen. Es empfiehlt sich also, wenn man Präferenzen hat, schon zu Schulbeginn im September das Gespräch mit der ausgesuchten Schule zu suchen. Wenn das Examen dann dort abgelegt werden darf, ist die “eigentlich zuständige” Schule vor Ort darüber zu informieren. Nach dem Examen muss man dort auch das Ergebnis der Prüfung mitteilen.
Anwesenheit der Eltern
Analog zur Norm, die öffentliche Wettbewerbe und ministerielle Prüfungen regelt und auch für die Abschlussprüfung gilt, ist die mündliche Prüfung öffentlich. (Art. 6 c. 4 des Präsidialerlasses 487/1994: “Die mündlichen Prüfungen müssen in einem öffentlich zugänglichen Klassenzimmer stattfinden, dessen Kapazität geeignet ist, eine maximale Beteiligung sicherzustellen”). Dementsprechend kann einem Prüfling nicht der Wunsch nach der Anwesenheit seiner Eltern verweigert werden. Bei Platzmangel entscheidet der Schulleiter das Vorgehen.
Für Freilerner: Welches Prüfungsniveau muss eingehalten werden?
In Italien gibt es ein gesetzlich vorgeschriebenes Mindestalter für das Ablegen der einschlägigen Prüfungen, aber (außer für die erste Grundschulklasse) kein Höchstalter. Wer also die Prüfung eines unteren Jahrgangs ablegen möchte, kann das tun.
Im Übrigen kann man nicht wirklich durchfallen und sich darüberhinaus italienweit eine Schule aussuchen, die man um das Abnehmen der Prüfung bittet. Es ist also für “Unschooler” zwar alles etwas enger geworden, und man muss wissen, wie man sich bewegen muß, aber es ist nicht alles verloren.
Quellen und weitere Infos:
www.gazzettaufficiale.it
www.controscuola.it
www.educazioneparentale.org
Update:
Infos für “Schüler”, die kein jährliches Examen an einer anerkannten Schule machen wollen
Das Gesetz (siehe oben) sieht ein jährliches Examen für Homeschooler vor – geht aber nicht auf Sanktionen ein oder was passiert, wenn es von einer Familie gebrochen wird. Es wird demnach davon ausgegangen, dass ein Nicht-Vorstellig-Werden des Kindes zur Prüfung als ein Vernachlässigen der Bildungspflicht (Art. 731 im Codice Penale) gesehen wird. Das wird in Italien bislang mit einer Geldstrafe bis 30 Euro sanktioniert. Wer Eltern im Falle der Nichtausübung der Bildungspflicht ihrer Kinder sanktionieren kann, ist übrigens nicht das Schulamt oder eine andere Behörde, sondern einzig und allein der zuständige Bürgermeister.
Es haben nicht wenige Anwälte Zweifel an der korrekten Auslegung des Gesetzes in der Praxis angemeldet und scheinbar haben sich viele Familien, vor allem mit Kindern in Weiterführenden Schulen, deshalb dazu entschieden, sich erst einmal keinen Druck machen zu lassen, sondern die Prüfung zu verweigern.
Dazu hat das Netzwerk controscuola ein paar Tipps erarbeitet:
1) Die Familien kommuniziert wie gehabt jedes Jahr aufs Neue und fristgerecht an das zuständige Schulamt, dass das Kind nicht die Schule besuchen wird, sondern zuhause unterrichtet. Es wird empfohlen, dazu eigene (bzw. von Elterninitiativen herausgegebene) Formulare zu nutzen und nicht etwaige von der Schule herausgegebene, um nicht aus Versehen zu unterschreiben, dass das Kind das jährliche Examen machen wird. Stattdessen wird auch – falls man zu einem Gespräch im Schulamt vorgeladen wird – besser nicht auf das Thema “Jahresabschlussexamen” eingegangen.
2) Es wird empfohlen, nicht von selber in Sachen Jahresexamen aktiv zu werden, sondern zu warten, bis sich das Schulamt deshalb meldet.
3) Wenn dem Schulamt bis zum 30 April nichts von den Eltern bezüglich Jahresabschlussexamen vorliegt, sollte es ein Einschreiben an sie schicken, in dem zum Examen eingeladen wird und der Zeitpunkt bekannt gegeben.
4) Die Familie antwortet nicht auf das Einschreiben. Das wird von der Behörde nicht unbedingt als Machtprobe ausgelegt sondern beschleunigt einfach für alle Seiten den Dienstweg. Der ist nämlich der zum Bürgermeister, der letztlich weiter entscheiden wird.
5) Am Prüfungstag bleibt der Prüfling zu Hause. Das Schulamt informiert dann den Bürgermeister über die Abwesenheit des “Schülers” im Sinne der Nicht-Ausübung der Bildungspflicht seitens der Eltern.
6) Der Bürgermeister schickt den Eltern daraufhin ein Einschreiben. Er kann auch – aber muss nicht – einen Sozialdienst (Assistente Sociale, Jugendamt) einschalten . Es passiert häufig, dass das Schulamt den Bürgermeister übergeht und direkt Sozialdienst/Jugendamt einschaltet. Das ist allerdings gesetzeswidrig – und hier empfiehlt sich natürlich, einen Anwalt hinzuzuziehen und zu klagen.
Es schimmert bei allen Diskussionen und “Tipps & Tricks” in Netzwerken und bei Eltern-Zusammenkünften immer durch, dass diese ganze Prozedur zwar ganz einfach und unspektakulär ist, aber dann haben doch alle einen Anwalt an der Seite, der bei den Formalitäten hilft und berät, welche Kommunikation wann ignoriert werden kann oder gemacht werden sollte. Das wahrscheinlich auch, weil die Lage von Schulamt zu Schulamt und Bürgermeister zu Bürgermeister stark variieren kann.
… und wenn man das Examen aus gesundheitlichen Gründen nicht wahrnehmen kann?
Wer sich zum festgelegten Prüfungstermin krank meldet, wird zu einem anderen Termin erneut vorgeladen werden.
Auch bei behinderten Homeschoolern ist das jährliche Examen zwingend vorgesehen. Hier ist übrigens doppelt Vorsicht im Umgang mit der Behörde zu geboten: Gerade in Bezug auf behinderte Schüler ist es oft schwierig für Eltern, sich durchzusetzen, wenn sie lieber zu Hause unterrichten (lassen) möchten. Es wird nämlich gemeinhin davon ausgegangen, dass sie dazu gar nicht in der Lage sind, sondern es besser für den Schutzbefohlenen ist, die staatlich vorgesehenen Hilfen zur Inklusion in einer Regelschule zu nutzen. Hier ist also besonders abzuwägen, ob die Prüfungsverweigerung sinnvoll sein kann.
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