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Interview: Auswandern ohne Job? Selber gründen!

Helmut lebt auf Sardinien und arbeitet von dort im gesamten italienischen und europäischen Raum für Celestis. Hier seine Geschichte für unsere Rubrik „Auswanderer-Portraits“ als Interview.

Helmut, wann und wie bist Du auf Italien gekommen?

Im Jahr 2010/2011 war ich mit Kollegen auf der Suche nach neuen Investitionsmöglichkeiten im Bereich von Fotovoltaikanlagen. Bei dieser Suche rückte Italien, speziell Sizilien, in unseren Fokus. Ich muss gestehen, mit Italien hatte ich zuvor in meinem Leben nicht viel am Hut. Aber ich begann, Sizilien zu erkunden und mich nach Möglichkeiten umzuschauen. Bei einer solchen Aktion werden automatisch neue Kontakte geschlossen. Im Jahre 2012 war einer dieser Business-Kontakte meine heutige Lebensgefährtin. Meine Zurückhaltung und Skepsis spornten sie wohl an, mir Italien und insbesondere „ihre Insel Sardinien“, die ich zuvor nur von der Landkarte kannte, Stück für Stück näher zu bringen. Aus einer Einladung dorthin wurde dann eine dauerhafte Beziehung im doppelten Sinne.

(Wie) hast Du Deine Auswanderung vorbereitet? Wo hast Du die Schwerpunkte gelegt?

Meine Auswanderung habe ich gar nicht – im klassischen Sinne – vorbereitet. Dadurch, dass wir uns ständig gegenseitig besuchten, flog ich mit vollem Koffer hin und kam mit einem halbleeren wieder nach Deutschland. Was ich „vergaß“ in Sardinien zu lassen, entführte Sie bei ihrem Besuch in Deutschland dann nach Sardinien. So blieb immer ein Stück mehr von mir auf der Insel. Irgendwann waren wir des Pendelns müde und wir diskutierten über die Möglichkeit Sardinien als Lebensmittelpunkt zu wählen.

Und dann ging es los?

Ja, dann ging es los. Mit meinem gentechnischen Error für Sprachen, war mir klar, dass es nicht einfach wird, eine Form des Broterwerbs umzusetzen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse in Italien waren mir bewusst und würden das Geldverdienen nicht vereinfachen. Klar, ich hatte den Vorteil, dass ich eine Sarda an meiner Seite habe, aber dies löst nicht alle Schwierigkeiten. Also musste eine andere Idee her. Zufällig schaute ich eine Reportage über den Einsatz von Drohnen, richtig bezeichnet als UAV oder RPAS. Dies in Verbindung mit meinen Kenntnissen über O&M für Fotovoltaik- und Windkraftanlagen setzte meine Fantasie für ein Geschäftsmodel in Gang. Ich recherchierte und recherchierte. Damals, 2013 waren die Welt – und das Internet – noch nicht so voll von Drohnen und deren Spezifikationen. Ich nahm mir ein halbes Jahr und etwas mehr Zeit für meine Recherche und eine Investition in dieses neue Marktsegment zu überdenken.

Dein Business ist ja nun recht spezifisch. Wenn ich es recht verstanden habe, bezahlen Leute Dich dafür, dass Du eine Drohne über ein Gebiet fliegen lässt und Fotos davon machst.

Sorry, dass ich grinse, aber du formulierst es genauso, wie viele Leute es sehen. Wir kommen, machen einige Fotos und wollen viel Geld dafür.
Es mag ja sein, dass einige ihr Geschäft so verstehen und versuchen so zu realisieren, aber es entspricht nicht dem professionellen Business.

Drohnen (UAV/RPAS), wie Celestis sie einsetzt, unterstützen oder ergänzen die Aktivitäten von Ingenieuren, Vermessern/Topografen und vielen anderen Spezialisten. Sie visualisieren und dokumentieren (zeitlich und geotechnisch) Aufgaben, wie industrielle Inspektionen, Inspektionen von Infrastruktur (Straßen und Brücken), Inspektionen von PV-Anlagen und Windkraftanlagen und vieles mehr und verdeutlichen – für jedermann verständlich – relevante Veränderungen (positiv wie negativ). Die Spezialisierung schreitet in vielen Bereichen voran und wird immer effizienter. Es ist ein Trugschluss zu glauben, nur weil man Bilder machen kann, kann man auch in dieses Geschäft einsteigen. Es beginnt damit, dass das Fluggerät (UAV/RPAS) für die unterschiedlichen Einsätze unterschiedlichen Eigenschaften mitbringen muss. Ich kann beispielsweise mit einem Quadro-/Hexa- oder Oktokopter keine 100 ha vermessen. Okay, geht schon, aber ist absolut ineffizient.

Ein weiterer Aspekt ist die Ausstattung, die sogenannte Payload, des Fluggerätes. Ist sie austauschbar und wenn ja, welche Payloads stehen zur Verfügung. Unter Payloads versteht man Kameras, Sensorik und andere Einrichtungen die an dem Fluggerät angebracht werden können.
Bei einer Inspektion von Rohrleitungen oder Brücken ist entscheidend, ob mein Equipment (die Payload) imstande ist, Microrisse zu visualisieren oder nicht, und dies an Stellen, die bisher nur unter schwierigen Bedingungen für Spezialisten erreichbar waren und durch den Einsatz von Drohnen effizienter und sicherer realisiert werden können. Diese Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Wir lesen heute von vielen Einsatzmöglichkeiten für Drohnen, aber die Zukunft wird viel interessanter und spannender in diesem Segment.

Für einen solchen Einsatz bedarf es einer Vorbereitung und Nachbereitung. Dabei meine ich nicht die bildtechnische Analyse. Das Einsatzgebiet muss gemäß der Regeln für Luftfahrt nach kritisch oder nicht kritisch beurteilt und entsprechend vorbereitet werden. Sicherheitsvorkehrungen müssen eventuell getroffen, Behörden eingeschaltet, Genehmigungen eingeholt, Flugplanung erstellt werden und einiges mehr. In Abhängigkeit der Operation sind mindestens 3-5 Personen mit der erfolgreichen und sicheren Umsetzung des Auftrages beschäftigt.

Wenn man alle diese Punkte, neben den Anschaffungskosten, zusammenfügt, zeigt sich schnell, dass hier nicht nur für „ein paar Bilder“ viel Geld bezahlt wird, oder?

Stimmt! Wie war es, das Unternehmen in Italien anzusiedeln?

Ein Unternehmen in Italien anzusiedeln ist nicht schwierig. Arbeits- und kostenintensiv wird es, wenn ausländische Unternehmen sich daran beteiligen oder bei der Gründung ein Teil der Shareholder sind, dann beginnt der Papierkrieg und das Einkommen der Notare steigt, weil aber auch Alles notariell beglaubigt und übersetzt sein muss. Wichtig ist für Gründer von Unternehmen, dass sie der italienischen Sprache mächtig sind, damit sie die (Notar-)Urkunden und die Rechtslage verstehen. Dies müssen sie auch dem Notar bestätigen oder sie lassen auch dies (beglaubigt) übersetzen, was natürlich die Kosten steigert.
Mit einem pfiffigen Steuerberater/Wirtschaftsprüfer lässt sich eine Gründung zügig und effizient realisieren. Wir haben dies straff organisiert und in 2 Wochen vollzogen. Mein Gefühl war, dass die Beteiligten happy waren, als es zügig vollzogen war, weil ich sehr nervig sein kann, wenn etwas umgesetzt werden soll.

Was musstest Du alles beachten, und wie lange hast Du gebraucht, um alle permessi in der Tasche zu haben?

Die permessi haben im Grunde kein Problem dargestellt. Lediglich „il permesso“ von Enac (der italienischen Luftfahrtbehörde) war problematisch. Im Jahr 2014 war Enac noch nicht auf dem richtigen Pfad und panisch. Sie sahen überall Drohnen, die dann vom Himmel stürzen und Menschen verletzen. Sie wollten (und wollen) nicht die Verantwortung dafür, andererseits sollen sie die Genehmigungen erteilen. Dies hat sich dann mit der Zeit etwas geändert. Zwischen 2014 und 2017 änderten sich laufend die permessi, was zu hohem Aufwand, finanziell und arbeitstechnisch, führte.

Unternehmer in Italien stöhnen ja viel über hohe Abgaben. Wie siehst Du das?

Unternehmer stöhnen überall über zu hohe und zu viele Abgaben, welcher Form auch immer. Das ist kein Phänomen, das man nur in Italien antrifft. Abgaben sind nur mal dazu da, den Staat in die Lage zu versetzen, das soziale Gleichgewicht finanziell auszubalancieren, die Infrastruktur zu optimieren und vieles mehr. Ich denke, wenn die Menschen den effizienten Einsatz ihrer Abgaben erkennen könnten, würde sich die Zahl derjenigen reduzieren, die klagen. Aber hier in Italien ist es nun mal so, dass dieses Verhältnis zwischen Abgaben und effizientem Einsatz der Ausgaben in einem suboptimalen Verhältnis steht. Hinzu kommen andere Aspekte, die ich weiter nicht ausführen möchte, weil es den Rahmen sprengen würde. Ich für meinen Teil akzeptiere es und belaste mich nicht damit, darüber zu klagen.

Was würdest Du anders machen, wenn Du die Möglichkeit hättest, für das Auswandern nach Italien alles nochmal ganz von Vorne durchzuspielen?

Hast Du einen guten Rat für diejenigen, die gerade erst anfangen, ihren Umzug ins Bel Paese vorzubereiten?

Auf Anhieb fallen mir zwei wesentliche Punkte ein. Zum einen erlernt die Sprache zumindest in der Art und Weise, dass ihr euch unterhalten und bei Behörden euer Anliegen verständlich vorbringen könnt. Respektiert die italienische Kultur und Lebensweise und versucht sie als Teil von euch werden zu lassen. Die richtige Mischung aus cruco und Bella Vita lässt euch im Bel Paese ankommen, auch bei den Menschen, und erhöht die Lebensqualität. Zuletzt ein fast vergessener Rat: Gewöhnt euch daran (sehr) viele Gebühren mit einem bollo bezahlen zu müssen. 😊

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