Es ist nun einige Jahre her, dass meine Söhne ihre Homeschooling-Zeit mit der Ablegung der staatlichen Mittelschulabschlussprüfung als Privatisten abgeschlossen haben. Ich denke gerne an diese Jahre zurück und empfinde sie als Privileg. Einerseits haben wir natürlich aus finanziellen Gründen – da nur ein Einkommen – auf viel verzichtet, sind z. B. so gut wie nie verreist oder haben kaum auswärts gegessen, das war dann jedesmal etwas Besonderes. Aber eigentlich haben wir das nie als großen Verzicht angesehen, denn die Zeit – den ganzen Tag, ohne fremdbestimmt auf Uhrzeigen groß Rücksicht zu nehmen – gemeinsam zu verbringen als einen „normalen Zustand“, das war einfach so wunderbar und das Wichtigste.
Nie möchte ich die magischen Momente missen, in denen einem Kind beim Lernen und Ausprobieren auf einmal regelrecht „das Licht aufgeht“. Diese Augenblicke haben eine so enorme Kraft und Schönheit, und dabei gewesen zu sein und dieses Feuer miterleben zu dürfen, ist ein ganz besonderes Geschenk. Das verbindet natürlich auch sehr, dieses Teilen von dermaßen emotionalen Erlebnissen. Auch der Gedanke, dass wir als Eltern ein bisschen dazu beigetragen haben – durch Zeigen, Erklären, Vorlesen oder einfach auch nur durch die Bereitstellung der entsprechenden Materialien, des Raums, der Zeit – ist ein großartiges Gefühl.
Oft werde ich von Eltern gefragt, wie man sich Homeschooling organisatorisch-technisch vorstellen kann. Das ist natürlich von Familie zu Familie verschieden und hängt auch davon ab, ob man sich einer besonderen Methode wie Waldorf oder Montessori oder andere zuwendet.
Bei uns war das so, dass wir uns bewusst dafür entschieden haben, auf die Erfüllung der Grundanforderungen zu achten, die auch in der Schule in diesem Alter gefragt wären. Das heißt, dass die Kinder in einem bestimmten Alter flüssig lesen konnten, die Schreibschrift und die Grundrechnungsarten beherrschten usw. Weniger wichtig war es mir, in den Sachfächern mit dem Schulprogramm Schritt zu halten: da haben wir uns ziemlich nach den Interessen der Kinder gerichtet und ich glaube, dass wir auf diese Weise zum Teil sogar mehr Inhalte erarbeitet haben, als es im Schulunterricht passiert. Diese Sachfächer oder sagen wir Nebenfächer wie Geschichte, Erdkunde, Naturkunde, Kunst, Musik, wurden bei uns zu „Hauptfächern“, denn inhaltlich interessierten sich die Kinder dafür am meisten.
Was die o.g. Grundkompetenzen angeht, so haben wir uns nach dem Rezept „Wenig und täglich“ gerichtet. Es bringt einfach mehr, mit einem Leseanfänger täglich ein paar Minuten Wörter oder Sätze zu lesen anstatt einmal in der Woche zwei Stunden über einem Buch zu sitzen. Dasselbe gilt für das Rechnen: täglich eine kleine Portion, das bringt’s!
Wobei man natürlich ganz viel spielerisch gestalten kann, vor allem je jünger die Kinder sind. Das „tägliche Lesen“ muss also nicht am Küchentisch passieren, sondern kann auch einfach am Schaufenster eines Spielzeuggeschäfts passieren. Das tägliche Schreiben kann auch das Beschriften der Aufkleber für die selbstgemachte Marmelade sein und die Glückwunschkarte an die Tante. Das Rechnen passiert beim Einkaufen ebenso wie beim Kochen.
Ab einem bestimmten Alter, so etwa mit 8-9 Jahren, haben wir begonnen, langsam strukturierter zu arbeiten. Da gab es dann auch Übungsvorlagen und Arbeitsblätter, sehr oft selbst gemachte. Aber auch weiterhin viele Spielübungen wie Memory, Domino usw., die kann man ja z. B. auch mit Rechenspielen Frage-Antwort einsetzen.
Manchmal kam es vor, dass ein Kind inhaltlich stockte, also z. B. bei einer gewissen Rechenart einfach nicht weiter kam. Da haben wir dieses Kapitel einfach abgebrochen und nach einigen Wochen oder Monaten nochmal probiert, da ging’s dann. Es lohnt sich wirklich, die individuellen Zeiten der Entwicklung des einzelnen Kindes zu respektieren. Beim Homeschooling fällt auch der ständige Vergleich mit den Kenntnissen und Fähigkeiten der Gleichaltrigen weg, was enorm hilft, mit Freude zu arbeiten. Als Mutter habe ich schon ab und zu geguckt, was Gleichaltrige ungefähr in der Schule so durchnehmen, um eine Art roten Faden zu haben, zur eigenen Orientierung, aber das hat mir nie Stress gemacht. Ich hatte mir mental einen Spielraum von +/- einem Jahr gelassen, was die Grundkompetenzen betrifft, das hat ganz gut geklappt. Auf diese Weise wäre mir wohl auch aufgefallen, wenn eines der Kinder größere Lernschwierigkeiten gehabt hätte, wo man im Fall vielleicht auch hätte Experten dazuziehen sollen, wie z. B. bei einer ausgeprägten Leseschwäche. Das war bei uns nicht der Fall.
Zurück zu unserem Tagesablauf: Diese „kleinen Portionen“ in Rechnen, Schreiben und Lesen spielten sich meistens am Vormittag ab, der je nach Jahreszeit unterschiedlich begann: Im Sommer standen wir früher auf, im Winter genoss auch ich es, bis 8 Uhr morgens zu schlafen.
Nach dem Mittagessen standen meistens unsere fächerübergreifenden Projekte auf dem „Plan“: Naturentdeckungen und Festhalten in Wort und Bild (Karten, Poster, Lapbooks usw.), Projekte zu KünstlerInnen und ihren Werken, Arbeiten mit der Zeitschnur (eine Art mobile Zeitlinie), Landkartengestaltung usw. Oft fingen wir gemeinsam mit diesen Projekten an und die Kinder arbeiteten dann autonom weiter. Die Grenze zwischen Lernen und Spielen war dabei ganz aufgehoben und ging ineinander über.
Abends, als auch der Vater von der Arbeit wieder zuhause war, wurde noch erzählt (die Kinder liebten es, den Vater über das Gelernte auszufragen und freuten sich immer, wenn sie die Antwort kannten und er ab und zu nicht), vorgelesen und manchmal ein inhaltlich passender Dokumentarfilm geschaut.
Überhaupt haben wir grundsätzlich immer darauf geachtet, thematisch „am Ball“ zu bleiben. Wenn wir z.B. eine bestimmte geschichtliche Epoche durchgenommen haben, wurden entsprechende Bücher aus der Bibliothek geholt, passende Filme angesehen, Hörbücher gehört, Ausmalbilder zur Verfügung gestellt, Modelle gebastelt und eventuell sogar kulinarisch entsprechende Angebote gemacht. Natürlich gehören dazu auch Museumsbesuche, Spiele, Ausstellungen und Gespräche mit Leuten, die sich zum Thema auskennen.
Ich denke, je nachdem was man sich vom Homeschooling erhofft, richtet man die Art und Weise der Methode und der Schwerpunkte aus. Mir war es, abgesehen von den Grundkompetenzen wichtig, dass die Kinder eine gute Allgemeinbildung erhielten und vor allem Interesse an diesen Inhalten bekämen. Auch war ich froh darüber, dass sie auf diese Weise „das Lernen lernten“ durch selbständiges Recherchieren, Analysieren und Überlegen. Dabei hat uns z. B. auch die Tatsache geholfen, dass wir kaum Schulbücher verwendeten sondern zu jedem Thema verschiedene Bücher. Da war es spannend, wenn diese sich manchmal inhaltlich nicht nur ergänzten sondern sogar widersprachen! – was zum weiteren Nachforschen ermutigte.
Wichtig war mir auch ein schönes Klima im Alltag und in der Familie. Wir alle haben vom Homeschooling profitiert, denn Lernen und Entdecken ist auch für Erwachsene so belebend, interessant und erfüllend! Dieser Ansatz ist uns allen geblieben. Ich kann also rückblickend nur positiv von unserer Erfahrung erzählen.
Auch der Umgang mit den Institutionen war positiv. Es ist wichtig, dass man selbst gut weiß, was man tun möchte und wie die Gesetzeslage ist, dass man die Termine einhält usw.
Homeschooling ist in Italien durch die Verfassung vorgesehen und erlaubt. Es ist notwendig, der zuständigen Schule jedes Jahr innerhalb Jänner für das im darauf folgenden Herbst startende neue Schuljahr eine Mitteilung über die Erteilung von Hausunterricht zukommen zu lassen. Infos und Vorlagen dazu gibt es unter www.controscuola.it und www.istruzionefamiliare.wordpress.com.
Wir erhielten meistens im August, also einen Monat vor Schuljahrbeginn, eine Rückmeldung von der Schule mit der Einladung, innerhalb November einen individuellen Lernplan vorzulegen, was wir dann auch für jedes Kind machten: also eine Liste mit den Inhalten, die man in jedem Fach vorhat anzugehen. Innerhalb Jänner bzw. Juni bat die Schule jeweils um einen Lernbericht. Darin habe ich angeführt, was wir tatsächlich gemacht haben, auch mit Angabe von gelesenen Büchern, gemachten Ausflügen, Museumsbesuchen usw. sowie mit Kopien von Arbeitsblättern, Aufsätzen usw. Auf diese Weise konnte die Schuldirektion ihrer Aufsichtspflicht nachkommen und überprüfen, dass das Recht der Kinder auf Bildung durch Hausunterricht umgesetzt wurde.
Wir erhielten nie direkte Rückmeldungen zu Lernplan und Lernberichten, also gingen wir davon aus, dass alles in Ordnung war, und machten so weiter.
Eignungsprüfungen sind eigentlich nur vorgesehen, wenn das Kind im darauf folgenden Schuljahr die Schule besuchen möchte (im Gegensatz zu Österreich, wo jährlich eine Eignungsprüfung abgelegt werden muss). Da für die Ablegung der staatlichen Mittelschulabschlussprüfung das Erreichen des 13. Lebensjahrs aber auch die abgelegte Eignungsprüfung über die 5. Klasse Grundschule (gilt nur für Privatisten, also auch Homeschooler) notwendig war, wurde diese abgelegt. Das passiert nicht automatisch, sondern für jede Prüfung muss man im April um Zulassung ansuchen. Daraufhin haben wir uns auch mit den LehrerInnen der Prüfungskommission getroffen, damit die Kinder sie noch vor der Prüfung kennenlernen konnten, und so konnte man sich auch ein bisschen über die Inhalte der bevorstehenden Prüfung austauschen. Es ist alles gut gegangen, wenn es natürlich auch sehr aufregend da nicht alltäglich war.
Nach der Homeschooling-Erfahrung mit meinen eigenen Kindern habe ich in den darauffolgenden Jahren auch andere Privatisten im Alter zwischen 13 und 16 Jahren im Vorbereitungsjahr auf die Mittelschulabschlussprüfung begleitet. Dabei konnten wir auch die Materialien und Methoden aus der Homeschoolingzeit sehr gut nutzen. Individuelle Lernbegleitung gemischt mit Autodidaktik ist meiner Meinung nach die beste und effizienteste Methode, selbstbestimmt und mit Freude zu lernen.
Ich wünsche allen, die dieses Abenteuer ebenfalls wagen möchten, eine fantastische Reise ins Land des freien und selbstbestimmten Lernens und Lebens!
August 2016
Sybille Kramer, Südtirol/Italien
www.sybilletezzelekramerartblog.wordpress.com
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