Gastartikel: Psychologische Tipps für Auswanderer und Expats

In unserer psychologischen Video-Beratung berichten uns viele Menschen, die zurzeit im Ausland leben, von ihren Hoffnungen und Wünschen, aber auch von den Herausforderungen, die das Leben in der Ferne mit sich bringt. Hier stellen wir häufige Probleme und Themen von Auswanderern und Expats vor und geben Tipps und Lösungsvorschläge.

Auswandern oder nicht – wie treffe ich die richtige Entscheidung?

Fernweh – häufig ist dies ein diffuses Gefühl. Die Sehnsucht, Neues zu entdecken. Aber auch, sich selbst neu und anders zu erleben. Wer hat nicht schon einmal mit dem Gedanken gespielt, in einem fremden Land zu leben. Wenn Sie sich mit dem Gedanken tragen, für längere Zeit nach Italien zu gehen, geben unsere Tipps zur Entscheidungsfindung vielleicht wichtige Impulse für Ihren richtigen Weg.

Eine gute Entscheidung – Was ist das?
Bei einer Entscheidung spielt nicht nur der Verstand eine Rolle, der Vor- und Nachteile rational abwägt. Daneben gibt es das unabhängige emotionale Entscheidungssystem – auch Intuition oder Bauchgefühl genannt. Das emotionale System ist sehr wirksam, weil es auf frühere Erfahrungen unserer Lebensgeschichte zurückgreift und die Gefühle von vergangenen Entscheidungen abruft. Dies passiert automatisch und unbewusst. Der Verstand bekommt davon zunächst nichts mit und wir fragen uns höchstens: „Warum habe ich ein komisches Gefühl bei der Sache?“
Eine gute Entscheidung treffen wir nur dann, wenn unsere beiden inneren Systeme, der Verstand und die Intuition, übereinstimmen. Bei der Entscheidung, den Schritt ins Ausland zu wagen, sollten Sie also beides berücksichtigen. Aber wie geht das?

Informationen sammeln
Der Verstand kann nur abwägen, wenn genug Informationen vorhanden sind. Das heißt, Sie sollten alle Fakten sammeln, die wichtig sind, wenn Sie ins Ausland gehen möchten: Welche Möglichkeiten habe ich in Italien? Welche Arbeits- oder Studienmöglichkeiten gibt es dort? Was und wen lasse ich in Deutschland zurück? Und was bedeutet es für mich, mein bisheriges Umfeld zu verlassen? Schreiben Sie doch ein kleines Tagebuch, in dem Sie die Antworten zu Ihren Fragen niederschreiben.

Hören Sie auf Ihre Intuition
Die Gefühle, die wir bei früheren Entscheidungen gefühlt haben, sind im emotionalen Erfahrungsgedächtnis als sogenannte „somatische Marker“ abgespeichert. Das kann bei Angst das Kniezittern, bei Traurigkeit der Kloß im Hals, bei Aufregung das Kribbeln im Magen, bei Erleichterung das befreite Gefühl in der Brust sein. Diese Körpersignale ruft das Gehirn als Unterstützung dann ab, wenn uns eine ähnliche Entscheidung bevorsteht. Diese „somatischen Marker“ geben uns also wichtige Hinweise, welche Entscheidung für uns gut ist.
Sie können nun beobachten, welche Ihrer „somatischen Marker“ bei verschiedenen Gedanken und Situationen im Alltag auftreten. Damit lenken Sie die Aufmerksamkeit auf Ihre Gefühle. Die trainieren, Ihre Intuition bewusst wahrzunehmen.

Den Blick von anderen nutzen

Manchmal drehen wir uns im Kreis, wägen die gleichen Argumente immer wieder ab, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Dann kann es sinnvoll sein, Ihre Ideen, Wünsche und Zweifel mit Personen zu teilen. Womöglich kann ein Blick von außen Ihnen neue wichtige Impulse oder Denkanstöße geben.

Nur die Ruhe – Entspannung und Zeit hilft

Eine wichtige Entscheidung sollte nicht von einem Moment auf den anderen getroffen werden. Vielmehr kann man die Entscheidungsfindung als einen mehr oder weniger langen Prozess begreifen, in dem die gute Entscheidung mit der Zeit sozusagen „heranreift“. Vor allem sollten Entscheidungen nicht unter Stress getroffen werden. In stressigen Situation schüttet das Gehirn Noradrenalin, ein Botenstoff mit dem wir in bedrohlichen Momenten blitzschnell reagieren können. Dabei werden jedoch die Verstand-Bereich unseres Gehirns abschaltet. Rationale Entscheidungen sind in einem solchen Zustand praktisch blockiert. Daher sollten wir uns bei der Entscheidung, für längere Zeit in ein anderes Land zu gehen, Zeit nehmen. Wir sollten eine entspannte Atmosphäre schaffen, um in Ruhe eine Entscheidung abzuwägen.

Verschiedene Kulturen: Mehr Unterschiede oder Gemeinsamkeiten?

In der Videoberatung klagte letztens eine deutsche Klientin, die erst kurze Zeit im Ausland arbeitet: „Ich kann mit meinem Kollegen wirklich nicht zusammenarbeiten – meine und seine Kultur sind einfach zu verschieden“. Jeder Mensch ist ein Laien-Psychologe. Wir beobachten Menschen in ihrem Verhalten und suchen nach passenden Erklärungen. Im Ausland für kulturelle Unterschiede aufmerksam zu sein, kann nicht schaden. Interessante Unterschiede gibt es bestimmt. Man sollte dennoch aufpassen, dass der kulturelle Fokus andere wichtige Aspekte der Persönlichkeit nicht vergessen lässt.

Wenn über die „eine oder andere Kultur“ mit ihren typischen Eigenschaften und Verhaltensweisen gesprochen wird, bilden sich schnell Schubladen. Natürlich können sich Deutsche und Italiener in vielen Dingen unterscheiden, vielleicht in den Rollen von Mann und Frau in Beruf und Familie oder in der Art, wie die Freizeit verbracht wird. Der alleinige Fokus auf die andere Kultur verkürzt jedoch die Suche nach den Ursachen von Konflikten und Missverständnissen. Die Vielfältigkeit eines jeden Menschen gerät aus dem Blick.

Doch was bestimmt die individuelle Persönlichkeit? Aus psychologischer Sicht beeinflussen beispielsweise unser Alter, Erziehung, Familienstand, Bildung, Interessen, Land- oder Stadtmensch und vieles mehr unser Denken und Verhalten. Einige Psychologen sind sogar der Meinung, dass Menschen, die zwar in unterschiedlichen Ländern leben, jedoch das gleiche Alter oder die gleichen Interessen zeigen, sogar mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede miteinander teilen.

Neben dem kulturellen Hintergrund und der individuellen Eigenschaften einer Person, kommt die jeweilige Situation hinzu, in der das Verhalten beobachtet wird. Ist der Kollege gerade müde, angespannt oder gelangweilt? Leicht lassen sich unterschiedliche Situationen vorstellen, in denen ein und derselbe Mensch trotzdem sehr verschieden auftritt.

Machen Sie sich kulturelle Unterschiede durchaus bewusst

Werte, Überzeugungen und Gewohnheiten, die für Sie selbstverständlich sind, können in Ihrem neuen Umfeld auf Unverständnis stoßen. Eine interessante Gelegenheit, auch eigene Herangehensweisen einmal zu hinterfragen. Warum ist in Italien etwas „normal“, was in Deutschland „seltsam“ wäre.

Lüften Sie Ihre Schubladen
Versuchen Sie Ihre gewachsenen Vorstellungen über Bord zu werfen und entdecken Sie Ihre Welt neu. Stimmen Ihre Vorstellungen und Annahmen? Oder ist es doch alles ganz anders? Mit welcher Frage könnten Sie von Ihrem italienischen Nachbarn etwas Neues erfahren? Testen Sie sich und testen Sie das Bild Anderer von Ihnen!

Forschen Sie weiter
Nur wenn Sie alle drei Anteile betrachten, – die Kultur, die individuelle Persönlichkeit des Gegenübers und die Situation, in der die Person steckt – nähern Sie sich der Wahrheit an. Wenn Sie noch nicht lange in Italien leben, nehmen Sie bewusst eine neugierige Haltung ein und beobachten Sie viel. Wenn Ihnen ein Verhalten seltsam vorkommt oder es Sie sogar ärgert, dann fragen Sie sich, welche Anteile durch die Persönlichkeit, durch die Kultur oder mit der aktuellen Situation erklärt werden können.

Ankommen braucht Zeit
Mit der Hoffnung, in der neuen Heimat das Glück zu finden, erleben manche Auswanderer oder Expats im ersten Jahr auch Enttäuschungen und Zweifel an der einst getroffenen Entscheidung. Der Anthropologe Oberg entwickelte in den 50er Jahren die Theorie, dass Menschen verschiedene Phasen durchleben, wenn sie in ein neues kulturelles Umfeld ziehen. Nach Oberg kommt nach einer anfänglichen Phase der Euphorie, oft eine Krise, in der Auswanderer mit ihrer Entscheidung hadern und Enttäuschungen erleben. Erst viel später, nach einer langsamen Eingewöhnungszeit, kommt bei den meisten Menschen ein Gefühl des „Ankommens“ auf.

Was ist der Grund für diese Wandlungen: Mit dem ersten Tag in einem neuen Land entstehen neue Aufgaben. Wir lassen Gewohntes zurück und öffnen uns Neuem. Diese Erfahrungen können interessant und bereichernd sein, bedeuten aber meistens auch Stress und erfordern von uns eine enorme Anpassungsleistung. Wenn nach der ersten Euphorie der Alltag einsetzt, fangen Sie an, die Unterschiede zwischen dem neuen Land und der Heimat auch kritisch zu sehen. Vielleicht war zu Hause doch vieles besser und leichter. Nach und nach meistern Sie jedoch den Alltag in der neuen Umgebung. Sie entwickeln ein Verständnis für Anforderungen und erleben, wie Sie neue Stabilität und Sicherheit gewinnen. Möglichweise entwickelt sich Ihr Sprachvermögen und Kontakte mit anderen Menschen werden häufiger und intensiver.

Nehmen Sie sich genügend Zeit

Wenn die Euphorie nachlässt oder sogar Zweifel an der Entscheidung auszuwandern aufkommen, bleiben Sie ruhig. Oberg hätte gesagt: die belastenden Gefühle kommen und gehen auch wieder. Seien Sie geduldig und schauen ganz bewusst, wann und warum sich positivere Gedanken und Gefühle wiedereinstellen. Wahrscheinlich sind Sie nur in einer vorübergehenden Krisen-Phase.

Nutzen Sie Ihre bewährten Strategien

Wahrscheinlich haben Sie schon früher im Leben Krisen erlebt. Durch die gemachten Erfahrungen hat jeder Mensch ganz persönliche Strategien, schwierige Situationen zu bewältigen. Erprobte Bewältigungsstrategien können Ihnen vielleicht auch jetzt weiterhelfen. Stellen Sie sich die Frage: Wie habe ich es früher geschafft?

Vertrauen Sie sich Menschen an, die Ihnen nahestehen
Mit Gespräche mit Familie und Freunde können Sie Ihre Perspektiven erweitern und lassen neue Hoffnung wachsen. Erfragen Sie aktiv unterschiedliche Sichtweisen. Vielleicht ist Ihr Partner in der jetzigen Situation zufriedener als Sie. Oder haben die Kinder sich im neuen Umfeld schneller eingelebt, als Sie selbst? Welche Erklärungen finden Sie für diese Unterschiede. Im gemeinsamen Gespräch können Sie mehr über sich erfahren – welche Bedürfnisse Sie haben bzw. was brauchen Sie, um sich in der neuen Umgebung wohlzufühlen?

Wenn die niedergeschlagene Stimmung über mehrere Wochen und Monate andauern, ist es empfehlenswert, sich professionelle Hilfe zu suchen. Bei einem großen Leidensdruck könnten Sie einen Arzt oder einen Psychologen aufsuchen. Hier kann abgeklärt werden, ob vielleicht eine depressive Phase dahintersteckt. Unter Umständen sollte auch die Frage erneut geklärt werden, in welchem Land man leben möchte. Für manche Menschen ist die Rückkehr in die alte Heimat eine gute Entscheidung.

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